BERLIN IN ISTANBUL
AUSSTELLUNG BERLINER STIPENDIATEN IN ISTANBUL SEIT 1989
28 August-10 October 1998
KUNSTAMT KREUZBERG (KÜNSTLERHAUS BETHANIEN)
Curator. Beral Madra
Coordination: Krista Tebbe, Stephane Bauer
Michael Bause / Knut Bayer / Thomas Büsch / Lilli Engel / Hanna Frenzel / Nelly Rau Haering / Bettina Hoffmann / KatherÝna Hohmann / Thomas Hornemann / Werner Klotz / Simone Kornfeld / Suzanne Lauterbach / Christa Mayer / Elke Nord / Oliver Oefelein / Lothar M. Peter / Jörg Reckhenrich / Stiletto / Wolfgang Stiller Sabine Vogel / Gisela Weimann / Birgit Maria Wolf / Gerd Wolf / Georg Zey
Die Ausstellung der Berliner KünstlerInnen, die seit 1988 mit Berliner Stipendium in Istanbul gelebt und gearbeitet haben, ist eine zusammenfassende Praesentation. Metaphorisch bewertet umfasst sie die Anwesenheit und Abwesenheit, den Abstand und die Naehe, die Neugierde und Gleichgültigkeit der KünstlerInnen. Sie ist sowohl eine Gruppen als auch eine Themenausstellung. Ihr Reiz liegt darin, den gemeinsamen Grund, Anlass und Kern der Erfahrungen dieses eigenartigen Aufenthalts sichtbar zu machen und zugleich den Besonderheiten der KünstlerInnen gerecht zu werden.
Gemeinsam ist ihnen das Interesse an einem Land und einem Volk, dessen Angehörige als Minoritaet in Berlin leben. Viele KünstlerInnen haben in Berlin türkische Nachbarn und Freunde. Sie finden, dass die türkischen Berliner das Alltagsleben in der Stadt bereichert haben und wollten deshalb dieses Land naeher kennenlernen. Oft sahen sie, dass die türkische Kultur in Deutschland als minderwertige wahrgenommen wurde. Diese fremden Einwohner, Vertreter eines Landes, das sowohl geschichtlich als auch gegenwaertig anregend und aufschlussreich ist, haben schrittweise zu dem Alltag der Stadt viel beigetragen. Sie erlebten auch eine Wandlung nach dem Sturz der Mauer und wurden aufnaemefaehige BürgerInnen. Am Anfang waren sie die VertreterInnen der dritten Welt, mussten aber graduell diese Einstellung umbilden, da sich die Dichotomien auflösten. Jedoch blieben sie immer ambivalente Vertreter, da sie auf der einen Seite an ihrer baeuerlichen und islamischen Identitaet festhielten, aber auf der anderen Seite die Anpassungsprozesse nicht vermeiden konnten.
Neben diesem unverkennbaren Grund, der Neugierde, die eine europaeische Eigenschaft ist, gibt es noch andere Gründe. Beharrende Bezauberung des westlichen Menschen durch den Osten ist einer; jedoch hat diese Bezauberung ihren kohaerenten Sinn verloren, da die radikale Teilung der Welt in Ost und West nicht mehr gültig ist. Die kulturelle und politische Energie des Westens basiert gegenwaertig auf eine Transformation der Beziehungen, an der die Kunst einen grossen Anteil hat. Sich dieser Tatsache bewusst, waehlten die KünstlerInnen den Aufenthalt in Istanbul, das doch noch eine Tür zu den Gehimnissen des Ostens darstellt. Hier ist ein gewisser Romantismus zu bemerken.
Gewiß, geht es hier auch um die Abwesenheit, in der die Vor- und Nachgefühle und -gedanken der KünstlerInnen zum Vorschein kommen. Hier geht es um das Vor-und Nachgedaechtnis, um Idealisierung und Romantik oder die Auflösung beider Positionen. Diese zweideutige Position hat einen geschichtlichen Hintergrund. Der Orient war eines der Ziele deutscher Romantik. Herder öffnete durch sein Interesse an östlicher Philosophie den Weg zur Frage nach Ursprung und Identitaet Europas und auch gerade nach der deutschen Identitaet. Goethe, Fichte, Schelling, Schopenhauer und Hegel folgten ihm. Der Orient, das war ein Saeuglingszustand und deshalb unschuldig, rein und von unerschütterlicher Potenz. Das Verstehen des Orients lieferte Material für das Artikulieren einer umfassenden globalen Geschichte der menschlichen Kultur. Diese Kenntnisse sorgten auch für eine Berichtigung und einen Gegenbegriff zur zeitgenössischen und einseitigen Tendenz der Romantik und zum extremen Individualcharackter des europaeischen Denkens. Das orientalische Denken stellte ihm Einheit und Ganzheit entgegen. Die KünstlerInnen kamen hier mit diesem Gedaechtniss. Ihre Nachgefühle und Gedanken kann man in dieser Ausstellung wahrnehmen. Die Berliner KüstlerInnen hatten keine Motive wie mystische Suche oder Orientalismus, jedoch aber Motive wie Bildung am Ort, Erkennung der Gegensaetzlichkeiten oder Einheiten, das Erweitern der Grenzen des Denkens und der freiwilligen Anstrengung.
Waehrend dieses zehnjaehrigen Aufenthaltes hat sich sowohl in Istanbul als auch in Berlin neben Modifikation, Transformation und Aufschwung auch Abbrechung, Ungewissheit und Auswuchs ausgelöst. Deshalb geht es in der Ausstellung auch um zwei Staedte, Istanbul und Berlin. Am Anfang des 20.Jahrhunderts waren beide Staedte als Zentren des Imperialismus eklatant und kosmopolitisch. Aufgrund des Modernismus, der Weltkriege und innen- und aussen-politischen Konflikte und von periodischen Massenwanderungen und Abwanderungen bewahrten diese Staedte im Laufe des Jahrhunderts ihre Geschichte und Einheitlichkeit mit Mühe und Schmerz. Gegenwärtig ist Istanbul eine Stadt, die die absonderlichen post-peripheralen und post-utopischen Eigenschaften beinhaltet. Berlin stellt seine Eineitlichkeit wieder her und vertrit die Entwicklung des Neo-modernismus und der Neo-utopie. Aus diesem Grunde sind diese KünstlerInnen, die die beiden Staedte im Rahmen der Kunst erleben, als TraegerInnen bewunderswerter Kentnisse und Erfahrungen, sehr relevant.
Für Istanbul bedeutet diese Periode eine rapide Umwandlung zu einem einzigen Endzweck, naemlich zur optimalen Kommerzialisierung. Mit erschreckender Hast wurde die Stadt nicht nur von mehreren peripheralen Stadtteilen umgeben, die sich durch ihre dürftige Architektur bemerkbar machen, sondern auch mit mehreren zentralen Kauf- und Büro-gebaeuden und internationalen Hotels dicht bebaut. Die zweite Bosphorus Brücke beschleunigte das Bauunternehmen und das Autobahnnetz um die Stadt herum. Letzendlich besteht die Stadt aus zentralen und peripheralen Geschaeftsentren und ghetto-artigen Wohnviertel für die Massen und die Erlesenen. Jedoch, als Gedaechtniss, als Orte der Wunder überleben hier und dort die Natur und die traditionelle Architektur diese Wucherung. In 10 Jahren transformierte sich die Drittland-metropole der 60‘er und 70‘er Jahre zu einem post-peripheralen, globalen Raum. In diesem Sinne ist Istanbul ein Ort der Anhaeufungen, der Beschränkungen, der Kummer, des traditionellen Gedaechtnisses, des ethnischen Migranten, der eigentümlichen Moderne und verkitschten Post-moderne. Hier ist der Alltag vielfaeltig, schwer und abenteuerlich. Die Stadt hat ihre eigene Zeit. Ein Tag hat andere Zeitspannen als in Berlin. Der Morgen ist melancholisch, der Mittag ist hastig, der Abend ist eskapadisch.
Berlin erlebte auch ein Übergang, die sich ideologisch und politisch entwickelte und in ein symbolisch-utopisches Unternehmen umwandelte. Seit fünf Jahren bestrebt sich die einst ideologisch und wirtschaftlich geteilte Stadt zu einem Kompromiss, der nicht nur die StadtbewohnerInnen, sondern auch den ganzen Kontinent befriedigen soll. Inmitten Europas, entwickelt sich Berlin als ein Model der Globalisierung. Als die KünstlerInnen diesen komplizierten Übergang erlebten und die Überschreitung der Grenzen zwischen Zentrum und Peripherie im Alltag am eigenen Leib spürten, haben sie die Entscheidung getroffen, in der tiefen Peripherie Erfahrungen zu sammeln. Sie erwarteten die Peripherie in ihrem puren Zustand zu finden, was sich nicht immer mit einem entsprechenden Ergebniss herausstellte.
Wie Villem Flusser vortrefflich ausgedruckt hat (*) der Eingang zur frei gewaehlten menschlichen Bindungen“ den wir seit Anfang 80‘er Jahren überall erleben, war auch eine Triebfeder, dass die Berliner KünstlerInnen diese Art von Beobachtung und Erfahrung am Ort unternahmen.
Die Werke in dieser Ausstellung bieten dem Berliner Zuschauer eine reiche Auswahl an Inhalten, Aussagen, Techniken und Stilen sowie auch an Dokumentationen an. Es sind Zeichnungen und Malereien als Tagebücher, die die Permanenz des Alltags mit der Immanenz der Subjektvitaet verbinden. Sie spiegeln den Willen der KünstlerInnen wieder durch die Spannkraft der Darstellung in die dicht verschlossene kollektive Seele der Gesellschaft einzudringen, da sie nach den ersten Impressionen, die die tradiditonelle Gastfreundlichkeit und Gutmütigkeit nachweisen, die traditionelle Konservatismus, Entfernung und Zurückgezogenheit entdecken.
Es sind Photos und Videos als soziologisch-politische Belege oder Argumente, die jenseits der Medien und Journalismus die „differierende“ Auffassung über die Tatsachen darstellen und einführen. Diese Werke beinhalten die ausgearbeiteten und begründeten Beobachtungen der KünstlerInnen; man kann diese logische Linie im Aufbau der selbstinfizierten Aufgabe erkennen. Die Aufgabe scheint soweit wie möglich in die Wirklichkeit infiltriert sein; hier soll ein Konkurrenzgefühl sich im Dunkeln halten, da seit den ersten Dilettanten vor 300 Jahren, die Wirklichkeitsbilder dieser Stadt sich unermeßlich angehäuft haben. Als Differenz zur Vergangenheit tritt hier eine präzise Recherche in die überraschende Vorfaelle, in die Übereinstimmungen und Gegensaetzlichkeiten, in die Trivialitaet und in die sozio-ekonomischen Realitaeten.
Es sind Objekte und Installationen, die als Modelle und Übertragungen sowohl der traditionellen Architektur und Handwerk sowie auch schwungvollen Kapitalismus und Industrie wiederspiegeln. Von ihrer Stelle aus gesehen sind die Übergaenge der Architekturformen, von der griechischen zur römischen, von der byzantinischen zur ottomanischen Eigentümlichkeiten staunenswert aber auch hin und wieder irritierend. Der Gegensatz zwischen der ottomanischen Klassik und des Barock ist bemerkenswert aber auch unertraeglich. Die Welt der Ornamente bietet einen nur mit den Sinnen erfahrbare Raeumlichkeit und hegen Hoffnungen für ein uneingeschränktes Wahrnehmungsempfinden. Die Konflikte der Moderne und Post-moderne sind exemplarisch und unabänderlich. Somit schwingen die Empfindungen und Eindrücke von Genuss bis Abstoss. Das traditionelle Handwerk ist längst zur touristischen Kitschware umgeformt, aber findet in der zeitgenössischen Kunstproduktion ihren pop-haltigen, zwiespältigen Wert. Die Handwerker-viertel in Tahtakale-Eminönü wurden ein ausgiebige Fundorte für sie. Die desolaten Industrieviertel um Istanbul herum sind nicht Orte, in die man oft hingehen kann, jedoch hatten manche den Mut die Verhältnisse dort zu entdecken.
Obwohl die Mehrheit der Werke auf die IstanbulerInnen als Mittelpunkt eingehen und Querschnitte ihres normalen Lebens als Erlebnismomente wiedergeben, d.h. obwohl die KünstlerInnen sich für BeobachterInnen und ÜbermittlerInnen erklären, erkennt man, dass sie stark in die Ereignisse involviert waren, da sie nach dem Rückkehr die in Istanbul bearbeitete Konzepte und Formen ergaenzt und erweitert haben.
Istanbul Stipendium ist eine erweiterte Reise für die KünstlerInnen. Durch diese Reise haben sie ihre heimatliche Realitaet mit der Realitaet der Anderen ergaenzt. Durch diese Reise haben sie den anderen Ort kennengelernt, erlebt und in den gegenwaertigen Kunstatlas eingegeliedert. Diese Reise gab sie die Möglichkeit, das abgebaute oder erschöpfte Weltbild mit ihren Aussagen und Werken wieder aufzubauen oder aktivieren.
Istanbul Stipendium ist eine gezielte und gesegnete Reise.